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Fragen und Antworten

 

ANGST

 

Entsteht Angst aus Hass und Gier heraus? Oder kann Gier und Hass auch aus Angst entstehen?

Im Buddhismus sind Gier und Hass die beiden grundlegenden Bonnos. Sie werden nicht von der Angst, sondern von der Unwissenheit erzeugt, das heißt von Illusionen, von Verkennung. Es geht nicht um eine zufällige Unwissenheit, weil man etwas nicht weiß, sondern weil man nicht wissen will. Man will die Wirklichkeit nicht sehen, wie sie ist. Nicht nur ist man nicht erwacht, man will nicht erwachen, weil es das Ego stört. Das Erwachen stört das Ego, was vielleicht mit Angst zu tun hat, Angst vor der Gefahr, dass man dieses Ego aufgibt, wenn man Gier und Hass abhelfen will. Diesen Zusammenhang gibt es durchaus zwischen Angst und Gier und Hass.

Ein anderer Zusammenhang besteht, wenn man gierig ist und Angst hat, nicht zu bekommen, was man begehrt. Vor allem hat man Angst zu verlieren, was man bereits erlangt hat. Besonders wenn man sich mit Gewalt etwas angeeignet hat und dabei von Hassgefühlen geleitet wurde, bekommt man automatisch Angst vor Vergeltung. Es ist eine sehr archaische Angst. Ein Säugling pendelt ständig zwischen Gier und Hass hin und her. Alle Menschen sind durch diese Phase gegangen, was als Ergebnis zur Folge hat, vor allem wenn die aggressiven Triebe sehr stark waren, dass wir Vergeltung fürchten. Wir fürchten, von dem Objekt, das wir verabscheuen, zerstört zu werden. Dies ist eine psychologische Betrachtung, die durchweg in die Richtung des Buddhismus geht, weil im Buddhismus Gier und Hass als hauptsächliche Leidensursachen betrachtet werden. Die Abhilfe für Gier ist letztlich das Erwachen zur Wirklichkeit, zur Tatsache, dass es uns in Wirklichkeit an nichts mangelt. Nur weil wir uns mit einem kleinen, begrenzten Ego identifizieren, das vom Rest getrennt ist, haben wir dieses Mangelgefühl. Wer diese Barriere des Egos aufgibt, wer sich in Einheit mit allen Wesen fühlt, ist ganz natürlich jenseits von Mangel und Überfluss.

Die Angst betrifft auch das Verhältnis, das ich zu Meister Deshimaru hatte. Ich hörte ihn zum ersten Mal bei einem Vortrag. Sein erster Satz war: „Sie müssen Angst haben!“ Er fügte hinzu: „Sie müssen Angst vor der kosmischen Ordnung haben.“ Danach referierte er über das Thema, dass sich der Mensch völlig verrannt hatte, weil er nicht der kosmischen Ordnung folgte, was sehr gefährlich für die Zukunft der Menschheit und des Planeten ist. Es war die erste ökologische Rede, die ich gehört hatte, lange bevor man von Umweltschutz sprach.

Am Ende seines Lebens, während seiner letzten Monate, predigte er die Nicht-Angst. Mit Nicht-Angst meinte er natürlich nicht, keine Angst zu haben vor den schlechten Folgen unserer Fehler oder unseres schlechten Verhaltens. Dies ist eine heilsame Angst. Die Angst andere, die Natur oder den Planeten zu schädigen ist eine Quelle der Weisheit, wir dürfen sie nicht verlieren.

Angst ist auf jeden Fall ein Alarmsignal bezogen auf Gefahren und daher sehr wertvoll. Während des Krieges schickte man Kampfpiloten, die keine Angst hatten, nicht auf gefährliche Missionen, weil sie übermäßige Risiken eingingen und von ihren Missionen nicht zurückkehrten. Angst hat durchaus einen positiven Aspekt. Wir müssen jedoch die Ursache der Angst erkennen. Handelt es sich um eine reale Gefahr oder ist die Angst mit Egoismus verbunden? Auch diese Angst ist interessant, weil sie ein Signal des Egoismus ist: die Angst zu verlieren, die Angst nicht genügend zu bekommen. Aber in dem Fall ist es gut, diese Angst loszulassen.

Kann es sein, dass man nicht selbst schuld ist an Geistesgiften? Aus Angst können andere Übel entstehen, aber traumatisierte Menschen sind nicht schuld an ihrer Angst.

Natürlich. Wir leben in einem Netz von Ursachen und Bedingungen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Ich kann sagen: „Es ist mein Karma.“ und mich daher verantwortlich sehen für das, was ich geworden bin. Daraus könnten Schuldgefühle entstehen. Aber eigentlich machen die karmischen Ursachen, die bestimmen, was wir geworden sind, nur einen kleinen Teil der Ursachen und Bedingungen aus, die uns beeinflusst haben. Es gibt noch vieles andere, zum Beispiel Traumata, für die wir nicht verantwortlich sind.

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Der Tempel La Gendronnière wird „Schloss der Nicht-Angst“ genannt. Ich sehe Angst aber als etwas Sinnvolles an, weil sie mich in Alarmbereitschaft versetzen und schützen kann. Meister Deshimaru hat gesagt, dass er die Menschen stark machen will. Meine Frage ist: Hat Angst einen Sinn in der Praxis?

Natürlich. Ich habe es schon ein paar Mal erzählt, aber ich werde noch einmal von der ersten Unterweisung sprechen, die ich von Meister Deshimaru vor vierzig Jahren gehört habe. Er beendete ein Teisho, indem er sagte: „Ihr müsst Angst vor der kosmischen Ordnung haben. Ihr müsst Angst haben!“ In diesem Moment war er der Zen-Meister, der das Bewusstsein der Leute aufwecken wollte. Es bedeutete, ihr müsst Angst davor haben, Fehler zu begehen, zum Beispiel den Fehler, den Planeten zu vergiften oder durch schlechtes Verhalten Leiden zu schaffen. Anders gesagt, ihr müsst Angst vor den Konsequenzen eurer Taten haben. Er warnte uns, damit wir diese Fehler vermeiden.

Dies ist die positive Seite der Angst. Wenn man Angst hat, einen Fehler zu begehen, ist man achtsam und vermeidet so Fehler. Nicht immer, aber oft hilft es. Wenn man Angst vor einem Autounfall hat, wird man vorsichtig fahren. Wenn man gar keine Angst hat, macht man Unsinn, sodass Unfälle passieren. Es ist die positive Bedeutung der Angst, die den Geist des Erwachens auslöst. Zum Beispiel müsst ihr Angst davor haben, euer Leben zu vergeuden, indem ihr euren Illusionen folgt und damit die großartige Gelegenheit verpasst, als Mensch geboren worden zu sein und das Erwachen erlangen zu können. Diese positive Seite der Angst hast du gut verstanden.

Die letzte Unterweisung von Meister Deshimaru war: „Ihr müsst keine Angst haben.“ Der Kreis der Unterweisung der Nicht-Angst hatte sich geschlossen. Als er in diesem Moment von der Nicht-Angst sprach, kurz vor seinem Tod übrigens, ging es um mushotoku. In vielen Fällen haben die Menschen Angst, etwas zu verlieren. Sie hängen zu sehr an etwas. Ängste werden oft durch Anhaftungen erzeugt, durch die Anhaftung ans Ego. Man haftet an seinem Selbstbild, an seinem Bankkonto und so weiter. Man hat Angst, seinen Ruf, sein Geld oder seine Macht zu verlieren, all das aufgrund der Anhaftung ans Ego.

Zazen befreit uns von den Ängsten, die mit unseren Anhaftungen verknüpft sind. Zazen mit der Mushotoku-Dimension befreit von der Angst, die vom Egoismus, von der Ichbezogenheit ausgelöst wird. Wie alle Emotionen ist die Angst ein Signal, das auf etwas verweist. Und wenn man Angst hat, muss man sich fragen, wovor man Angst hat. Es kann eine gute Warnung sein: Pass auf! Manchmal muss man komplett die Richtung seines Lebens ändern. Manchmal ist es nur eine Anhaftung, die man fallen lassen muss. Alles hängt davon ab, was in dem Moment geschieht, in dem die Angst auftaucht. Was ist ihre Ursache? Es ist ein Teil der Praxis, aufmerksam zu sein, sich kennenzulernen, zuzuhören und zu erkennen, was gerade geschieht.

Es gibt auch krankhafte Ängste. Manche Menschen haben Angstneurosen, die mit unbewussten Konflikten zu tun haben. Sie haben Ängste, die nicht mit realen Phänomenen verknüpft sind. Da ist nichts, keine Gefahr, aber eine Angst. Oft sind sie mit unbewussten Konflikten verknüpft, was eher in Richtung Psychotherapie geht. Das ist etwas anderes.

Wovor hast du Angst? Warum hast du dich mit der Nicht-Angst beschäftigt?

Wegen dem Namen. Und es gibt Momente in der Praxis, die mir Angst machen, wenn ich feststelle, welche Kraft die Praxis hat, wie losgelöst sie von mir und meiner Idee vom Ich ist.

Das ist eine interessante Angst. Oft hat das Ego Angst loszulassen, wenn es merkt, dass die Praxis stark ist. Wenn die Praxis stark ist, muss man das Ego normalerweise aufgeben. Es ist die Angst der Leute vor der Leerheit, die Angst des Egos, zu verschwinden, loszulassen. Es ist in diesem Moment sehr interessant, diese Angst zu untersuchen und die Anhaftung an das Ego zu beobachten, die derartige Ängste auslöst. Ich denke, dass diejenigen, die während Zazen ihren Gedanken folgen, eigentlich vermeiden wollen, sich mit der Leerheit auseinanderzusetzen. Das ist eine List des Egos, um zu vermeiden, mit der Leerheit konfrontiert zu werden. So kann man jahrelang Zazen praktizieren, und jedes Mal, wenn man in Zazen sitzt, wälzt man seine Gedanken und nichts passiert. Es findet keine wahre Revolution statt, kein wahres Loslösen, weil man diese Gedanken, die Aktivität des Geistes nutzt, um die Leerheit vor sich zu verbergen, nicht an sie zu denken oder sie nicht zu sehen.

Und wenn Zazen stärker wird als das Ego, bekommt das Ego Angst. Ich denke, etwas in dieser Art ist dir passiert. Das kann ein gutes Zeichen sein. Es gibt manchmal Leute, die ein sehr zerbrech-liches Ego haben, und sie haben Angst davor, dass ihr zerbrechliches Ego auseinanderbricht, wenn Zazen zu stark wird. Es ist der Unterschied zwischen dem Aufgeben und dem Verlieren des Egos. Wenn man geistig schwach und zerbrechlich ist, hat man Angst sein Ego, seine Kontrolle zu verlieren oder den Sinn der eigenen Identität zu vergessen. Die Angst davor, nicht mehr zu wissen, wer man ist, ist ein psychologisches Phänomen, das die Zerbrechlichkeit des Egos zeigt. Es hat nichts damit zu tun, sein Ego aufzugeben.

In Wirklichkeit muss man sehr stark sein, um sich erlauben zu können, das Ego aufzugeben. Man muss gut verwurzelt sein. Dann kann man feststellen, dass die Natur des Egos unbeständig, ohne Substanz und Leerheit ist. Dann kann man das Ego relativieren. Es steht nicht mehr im Zentrum des Lebens, und man muss nicht immer kämpfen, um es zu verteidigen. Dann kann man seinen Geist zu einer Dimension öffnen, die über das Ego hinausgeht. Dazu müssen das Ego und die eigene Identität ausreichend verwurzelt sein.

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Warum hat man den Tempel La Gendronnière "Schloß der Nicht-Angst" genannt? Hätte man ihm auch einen anderen Namen geben können?

Ja. Man hätte sie auch "Schloß der Angst" nennen können. Denn die erste Unterweisung, die ich von Meister Deshimaru hörte, war, daß er sagte: "Ihr werdet Angst bekommen vor der kosmischen Ordnung." Man hätte also genausogut die Gendronnière "Schloß der Angst vor der kosmischen Ordnung" nennen können. Das wäre auch sehr wirkungsvoll gewesen. Aber zu der Zeit, als Meister Deshimaru die Gendronnière "Schloß der Nicht-Angst" nannte, suchte er als Bodhisattva ein wichtiges Thema, um den Menschen zu helfen. Und er nannte die Gendronnière "Schloß der Nicht-Angst", weil er dachte, daß die Praxis von Zazen den Menschen helfen würde, Vertrauen zu finden.

Angst und Nicht-Angst gehören zusammen. Angst vor der kosmischen Ordnung zu haben, ist eine große Anregung für die Praxis. Das heißt aber nicht, daß man ständig in Angst lebt, z.B. der Angst zu sterben. Diese Angst ist ein Stimulans für Bodaishin. Weil wir wissen, daß wir sterben werden, stellen wir uns die Frage nach dem Sinn des Lebens. Wir haben Angst, die Gelegenheit, als Lebewesen geboren zu sein, zu vergeuden, das Wesentliche zu verfehlen. In der kosmischen Ordnung gibt es Unbeständigkeit und Tod. Alle Wesen, die geboren wurden, müssen sterben. Sich dessen bewußt zu werden, ist eine große Anregung. Ausgehend von dieser Angst hat man den Wunsch, den Weg zu praktizieren. Und der Weg, Zazen bringt uns in Kontakt mit einer Lebensdimension, die jenseits von Leben und Tod ist. Dies ist die essentielle Erfahrung von Zazen. Das hat die Kraft, die Angst aufzulösen, völliges Vertrauen zu geben.

In Wirklichkeit geht man von der Angst zur Nicht-Angst. Ohne Angst wäre Nicht-Angst bedeutungslos. Wenn man sich nicht mit der Angst konfrontiert und sich nicht in der Praxis engagiert, die es erlaubt, über sie hinauszugehen, heißt das, daß man völlig in der Illusion lebt. Die Rolle des Zenmeisters ist es zugleich diese Angst hervorzurufen, um die Leute aus ihren Illusionen aufzuwecken: „Das Leben ist kurz. Verliert nicht eure Zeit.“ und Vertrauen zu vermitteln: „Ihr selbst habt Kraft, eure Probleme zu lösen. Jeder von euch hat die Buddhanatur. Wenn ihr damit in Berührung tretet, könnt ihr die Angst lösen.“ Das ist etwas anderes, als die Nicht-Angst aus Unwissenheit, aus der Vorstellung, daß es keine Gefahren gibt. Z.B. ist es in der Gegenwart wichtig, daß sich die Menschen der Gefahren, die das Leben auf der Erde bedrohen, bewußt werden. Denn nur, wenn alle Angst bekommen, haben wir die Chance, die Probleme zu lösen. Wenn die Leute keine Angst vor Umweltverschmutzung, Gewalt, Not, Hunger haben, besteht keine Möglichkeit, die Probleme zu lösen. Aber wenn wir uns dessen bewußt werden, haben wir die Möglichkeit, die Welt zu ändern, uns selbst zu ändern. Deswegen müssen wir sowohl mit Angst als auch mit Nicht-Angst manövrieren.

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