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WIRKLICHKEIT

Du hast gesagt, dass die Einatmung eine Realität und die Ausatmung eine andere Realität ist. Und der Tag ist eine Realität und die Nacht ist eine Realität. Wenn du nachts schläfst, was ist das für eine Realität für dich?

Wenn ich schlafe und nicht träume, dann gibt es keine Wirklichkeit, dann bin ich unbewusst. Aber wenn man von der Wirklichkeit des Tages im Vergleich zur Wirklichkeit der Nacht spricht, dann betrachtet man das von der physikalischen Seite aus. Im Gegensatz zum Tag ist es nachts dunkel. So wie man den Frühling im Vergleich zum Winter betrachtet, das sind zwei verschiedene Wirklichkeiten.

Wenn man im Zen von Wirklichkeit spricht, gibt es eine Art Wettbewerb von Umständen oder verschiedenen Bedingungen, die eine Situation kreieren. In dem Moment ist man Teil dieser Kreation, und sie ist in diesem Augenblick unsere Wirklichkeit. Dies nennt man eine dharmische Position. Im nächsten Augenblick erscheint eine andere dharmische Position, weil sich die Abhängigkeiten im Kosmos geändert haben. So gibt es unablässig immer neue dharmische Positionen. Das heißt auch, dass unsere Erfahrung des Lebens in jedem Augenblick anders ist, was uns dazu auffordert, jeden Augenblick vollständig als eine vollständige Erfahrung des Lebens zu leben.

Dies erklärt auch die Unbeständigkeit. Die Unbeständigkeit erzeugt bei den Menschen die Wahrnehmung der Zeit. Wenn man diese verschiedenen Positionen betrachtet – es gibt Winter, es gibt Frühling, es gibt Tag, es gibt Nacht – dann stellt man sich vor, dass es die Zeit ist, die vergeht. Aber was wir dabei Zeit nennen, ist ein geistiges Konstrukt. In Wirklichkeit gibt es keine Zeit. Es gibt ein Universum, in dem alle möglichen Phänomene entstehen. Wir haben eine kleine Erfahrung dieses Universums und versuchen, es in einen geistigen Rahmen einzupressen. Dafür haben wir Kategorien wie Zeit und Raum erzeugt. Wir müssen aber verstehen, dass das nur Kategorien sind.

Was dagegen keine Kategorie ist, ist die Erfahrung des realen Lebens. Soweit möglich sollte man diese Erfahrung des Lebens so richtig wie möglich erleben. Das ist wichtig. Erkennen, dass es nicht die Zeit ist, die vergeht, sondern, wie ein französischer Dichter sagte, dass wir vergehen. Die Zeit vergeht nicht, das heißt, wir ändern uns ständig, unser Körper, unser Geist wandeln sich ständig um. Und man muss lernen, so gut wie möglich damit zu leben, das heißt, mit so wenig Anhaftungen wie möglich. Man sollte lernen, auf eine fließende Weise zu leben, in Harmonie mit dieser ständigen Veränderung aller Phänomene, mit weniger Anhaftungen, aber mit einer stärkeren Solidarität mit allen fühlenden Wesen, weil wir die gleiche Wirklichkeit teilen. Das Wesentliche einer spirituellen Praxis ist für mich, weniger ichbezogen zu sein und so ein harmonischeres und richtigeres Leben zu führen. Weniger Leiden schaffen, für die anderen und für einen selbst, soweit möglich Gutes für andere tun. Ich finde, das ist der beste Sinn, den man seinem Leben kann.

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Gibt es eine andere Realität als die, die wir sehen können?

Nein, es gibt keine andere Realität, aber es gibt eine andere Art, sie zu sehen.

Ich frage mich, ob eine beobachtbare Wirklichkeit jenseits unserer Täuschungen und persönlichen Wahrnehmungen besteht?

Wir können die Wirklichkeit nur durch unsere Sinnesorgane und unser Bewusstsein wahrnehmen, d.h. durch unsere fünf Skandas, durch den Körper, die Empfindungen, die Wahrnehmungen, die geistigen Strukturen und durch das Bewußtsein. Man kann die fünf Skandas so arbeiten lassen, daß sie eine täuschende Wahrnehmung der Wirklichkeit produzieren, dass wir durch unsere Anhaftungen, Täuschungen und Leidenschaften die Wirklichkeit nicht so sehen, wie sie ist, sondern so wahrnehmen, wie wir sie gerne hätten. Wie einen Traum. Oder man kann die fünf Skandas benutzen, um Zazen zu machen und durch Zazen hindurch in eine andere Funktionsweise des Bewußtseins einzutreten.

Wenn man davon spricht, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist, bedeutet dies, sie so zu sehen, wie Buddha sie gesehen hat. Die Realität als solche ist nicht faßbar. Aber die Wirklichkeit in einer realistischen Weise und nicht durch unsere Täuschungen hindurch zu sehen, heißt sehen, daß sie unbeständig ist. Die unablässige Veränderung aller Dinge ist eine grundlegende Wirklichkeit. Diese Unbeständigkeit hängt damit zusammen, daß alles, was existiert, miteinander verbunden ist. Dies impliziert, dass es keine feste Substanz, kein Ego gibt, denn da alles miteinander in Beziehung steht, gibt es keine autonome, selbständige Einheiten. Alles bezieht sich aufeinander und verändert sich. So lange man das nicht akzeptieren kann, d.h. so lange man sich daran klammert, daß unser Ego eine autonome Existenz hat und sich dieser Wirklichkeit, so wie sie ist, entgegen stellt, taucht das dritte Element der Wirklichkeit auf, das Leiden Das sind die drei Elemente der Sicht der Wirklichkeit, wie sie ist, die Buddha unablässig gelehrt hat. Die Wirklichkeit, so wie sie ist, bedeutet, daß sie unbeständig ist, ohne Substanz und Quelle von Leiden. Auf diese drei Elemente der Wirklichkeit kam Buddha ständig zurück.

Wir alle können das selbst wahrnehmen und bestätigen. Auch Buddha hatte Sinnesorgane. In der Weisheit seiner Meditation hat er die Wirklichkeit wahrgenommen, wie sie ist. Wirklichkeit an sich, ohne persönliche Wahrnehmung können wir nicht wahrnehmen, das geht schon von der Definition her nicht. Aber wir können die Wirklichkeit in Harmonie mit dem leben, was in Wirklichkeit geschieht. Wenn wir uns in Phantasmen flüchten, holt uns die Wirklichkeit, wie sie ist, irgendwann wieder ein.

Wir können unsere Einstellung bezüglich dieser Wirklichkeit ändern. Das genau ist der Weg Buddhas. Das ist das, was man das richtige Verständnis nennt, das ist der erste Weg des achtfachen Pfades. Ausgehend davon, gibt es die Praxis des Weges, die es uns erlaubt, sich dieser Wirklichkeit bewußt zu sein, sie umzuformen und mit mehr Weisheit zu leben, also das Leid zu lösen und den anderen zu helfen, es zu lösen.

Aber, was wir sehen, ist doch ein endloses Spiel unserer Täuschungen, ein Spiegel, in dem ständig Bewegung ist.

Das ist eine andere Frage. Man ist entweder Spielball seiner Täuschungen, oder man kann die Täuschungen durch die richtige Sichtweise erhellen. Das machen wir, wenn wir den Weg praktizieren. Es ist nicht so, dass wir, weil wir Zazen praktizieren, plötzlich keine Täuschungen mehr haben. Aber man wird sich immer mehr seiner Illusionen bewußt, man sieht sie nicht nur, sondern man gewinnt auch zunehmend Freiheit, ihnen nicht zu folgen.

Jeder von uns hat seine eigene Sichtweise. Keine ist wirklich richtig, und keine ist wirklich falsch. Es ist eine Ansammlung von unterschiedlichen Realitäten, und das schafft doch die Welt, in der wir leben.

Natürlich nimmt jeder einzelne durch seine Subjektivität hindurch wahr, durch seine eigene farbige Brille, wie Kodo Sawaki sagte, aber ich glaube nicht, daß jeder seine eigene Wahrheit hat. Jeder hat seine eigene Wahrnehmung, Du hast dein Gefühl, deine Einschätzung einer Situation. Das ist dann deine Wahrheit, aber das heißt nicht, das es keine gemeinsame Wahrheit, gibt auf die man sich berufen kann. Z.B. die großen Unterweisungen des Dharma Buddhas sind universelle Wahrheiten, sie sind nicht Produkt seiner Täuschungen, seiner Illusionen.

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Ich möchte die Frage bezüglich der Wirklichkeit fortsetzen: In der Soto- und der Rinzai-Tradition ist die Rede davon, dass Schüler erwachen. Gibt es also eine Wirklichkeit?

Natürlich gibt es eine Wirklichkeit. Wir nehmen ja an ihr teil. Aber es gibt unterschiedliche Weisen, sie wahrzunehmen. Das Erwachen besteht darin, sie so zu sehen wie sie ist, ihre Unbeständigkeit, ihre Nicht-Substanz, und daraus die Konsequenzen zu ziehen und sich mit ihr zu harmonisieren. Man kann das anders nennen, z.B. ‘die Leerheit sehen’. Aber das ist nichts anderes, als die Natur der Wirklichkeit sehen.

Es gibt unterschiedliche Weisen, zu verstehen. Wenn du meinen Worten zuhörst, kannst du meine Worte verstehen. Auch Buddha hat Worte gebraucht, hat über die Leerheit, über die wechselseitige Abhängigkeit, über das Nicht-Ich gesprochen. Aber das wirkliche Erwachen besteht darin, daß man das tief in seiner eigenen Praxis spürt. Das ändert dann die Seinsweise, weil man sich mit dieser Wirklichkeit harmonisiert.

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Du hast von zwei Wirklichkeiten gesprochen, der einen, die relativ ist, und der anderen, die absolut ist. In der relativen Wirklichkeit kann man erfahren, dass man sich an etwas klammert und dass man jemanden verlieren kann. In der absoluten Wirklichkeit gibt es keine Trennung. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die relative Wirklichkeit das, was wir im Alltag erfahren. Aber ist die absolute Wirklichkeit dann eine Theorie?

Nein, ganz und gar nicht. Man kann auch sie erfahren, aber von einem anderen Standpunkt, dem Standpunkt der Leerheit aus. Das ist der Standpunkt, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie im Grunde ist.

Zum Beispiel habe ich, seit ich klein bin, einen bestimmten Charakter entwickelt, bin eine Person mit einer Geschichte. Also habe ich ein Ego. Das ist die relative Wirklichkeit und tatsächlich hat in diesem Sinne jeder ein Ego, das er zu befriedigen, zu verteidigen, zu bestätigen sucht. Man möchte als jemand Gutes anerkannt werden, befördert werden. Das ist der Narzissmus des Ego.

Aber wenn man auf den Grund schaut, sieht man, dass all das, was man “Ich“, “mein Ego“ nennt, nur geistige Konstrukte sind, Gedanken, die man unterhält, Ideen, die man sich über sich selbst macht. Man versucht etwas zu erschaffen, das einigermaßen stabil scheint. Aber wenn man die Wirklichkeit betrachtet, sieht man, dass es keine Substanz gibt. Das ist die absolute Wirklichkeit, die tiefe, reale Wirklichkeit, die man intuitiv während der Praxis von Zazen wahrnehmen kann.

Wenn ich mich in Zazen anschaue, kann ich kein Ego finden, kann ich keine Essenz meines Egos finden. Es existiert nicht. Das ist die Unterweisung des Hannya Shingyo.

Natürlich gibt es den Körper, man hat Empfindungen, manchmal fühlt man sich wohl, manchmal hat man Schmerzen in den Knien oder woanders, manchmal ist es still, manchmal hört man ein Geräusch, ein Insekt, den Godo, der spricht, alle möglichen Wahrnehmungen, Gedanken, Erinnerungen, Wünschen sind da. Alle diese Erscheinungen tauchen auf und verschwinden ohne Unterlass. Man ist sich dessen bewusst und versucht, all das zu vereinen, und sagt: „Das ist mein Ego. Ich bin jemand, der Empfindungen hat, der dieses mag und jenes nicht, der so oder so denkt.“ - Relativ gesehen ist das richtig. Das ist die Konstruktion unserer Persönlichkeit. Man konstruiert sich. Psychotherapien z.B. helfen Menschen, sich zu konstruieren, eine möglichst genaue Vorstellung von sich zu bekommen, in der Lage zu sein, ihre Wünsche zu erkennen und dahin zu kommen, sie mehr oder weniger zu befriedigen.

Aber im Grunde hat all das keine Substanz. All das ist Leerheit. Und Leerheit ist keine Theorie. Sie ist die Wirklichkeit. Wenn man ganz tief schaut, stellt man die Abwesenheit von Substanz fest. Also sind relative und absolute Dimension der Wirklichkeit wie die Handfläche und der Handrücken. Das gehört immer zusammen. Shiki, die Form, die Phänomene, und Ku, die Leerheit. Ku ist die wahre Natur von Shiki. Die absolute Dimension ist die wahre Natur der relativen Dimension. Sie sind niemals getrennt von einander, es ist lediglich eine Frage der Sichtweise. Die Art und Weise, wie man schaut, lässt einen die Dinge anders sehen.

Man könnte also sagen - um die westlichen Kategorien wieder aufzunehmen - dass es auf der einen Seite die Erscheinungen gibt und auf der anderen Seite die Wirklichkeit. Das ist recht einfach zu verstehen. Zum Beispiel sieht man Farben, einen Baum, der rot ist, einen anderen, der grün ist, Formen. Aber in Wirklichkeit sind es nur Schwingungen, die die Netzhaut berühren, die etwas im Gehirn bewirken. Man nimmt Formen wahr und sagt: „Ah, dieser Baum ist rot. Er ist schön.“ Aber das ist nur eine Konstruktion unseres Geistes. In Wirklichkeit gibt es nur Schwingungen.

Beide sind wahr: Ja, ein Baum ist schön. Man kann ihn malen. Man kann Gedichte über die Schönheit der Bäume verfassen. Aber hinter dieser Form, dieser Erscheinung, gibt es nur Schwingungen, nichts Substantielles. Beide sind wahr. Aber wenn man nur eine Seite sieht, wenn man nur die Erscheinung, die Phänomene, sieht, neigt man dazu, sich daran zu klammern, weil man glaubt, dass das, was man sieht, wirklich ist und andauern wird, Substanz hat und man es besitzen kann. Das gleiche gilt für die eigene Persönlichkeit, das eigene Ego.

Nur die Erscheinung zu sehen, ermutigt zur Anhaftung. Die Wirklichkeit zu sehen, so wie sie ist, erlaubt es, von dieser Anhaftung geheilt zu werden. Das ist die Unterweisung Buddhas, die Unterweisung des Dharmas. Buddha hat nie bestritten, dass es ein Ego gibt, eine Persönlichkeit. - Es gibt Leute, die glauben, dass Buddha das Ego, die Persönlichkeit, verneint hat. Das stimmt nicht. Er hat nur gesagt, dass das Ego sehr relativ ist, dass es keine Substanz hat. Deshalb kann man sich davon lösen, selbst wenn es relativ gesehen existiert. Aber wenn man an das Ego als etwas Absolutes, etwas Festes glaubt, das immer weiter bestehen wird, kann man sich nicht befreien, kann man sich nicht loslösen. Es ist die Unterweisung der absoluten Wahrheit, die Unterweisung der Leerheit, die hilft, sich zu befreien.

Aber das ist nur eine Arznei. Letztlich darf man sich auch nicht an die Leerheit klammern. Man darf sich auch nicht der absoluten Dimension verhaften, sonst kann man in das Extrem des Nihilismus fallen: „Ach, nichts existiert, nur Schwingungen!“ Auch das ist falsch. Immer beide zusammen, mit beiden Augen sehen.

 

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